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Varianz und Verwirrung

Universitätsbibliothek Wien

Konstanze Fliedl: Arthur Schnitzler: Poetik der Erinnerung. Wien, Köln u. Weimar: Böhlau 1997 (= Literatur und Geschichte, Literatur in der Geschichte 42).
Exemplar: Universitätsbibliothek Wien, Signatur: II-716715/42

Konstanze Fliedl: Poetik der Erinnerung. Habil., Universität Wien 1996.
Exemplar: Universitätsbibliothek Wien, Signatur: II-1219844

Die Habilitationsschrift Konstanze Fliedls ist an der Universitätsbibliothek Wien in zwei Ausgaben erhältlich: als Buchpublikation im Böhlau-Verlag im Jahr 1997 sowie als (zur Habilitation eingereichte) Typoskript-Fassung aus dem Jahr davor.
Ein flüchtiger Blick in diese letztere Fassung zeigt eine überraschende Form der Annotation: Prinzipiell scheint das Exemplar mit dem gebührenden Respekt behandelt worden zu sein, nur eine Handvoll von Eingriffen fremder Hand sind zu sehen. Bei diesen handelt es sich allerdings nicht um die üblichen Markierungen zur Hervorhebung oder Randnotizen mit Anmerkungen unterschiedlichen Reflexionsgrades. Stattdessen scheint es sich – auf den ersten Blick – um Korrekturzeichen zu handeln.
Nun ist die Angewohnheit, falsche Daten in wissenschaftlichen Werken händisch auszubessern, unter Mitgliedern der Forschungsgemeinschaft selten; eher findet man sie bei interessierten bis fanatisierten Laien. Das wäre immerhin nicht ausgeschlossen, bloß handelt es sich hierbei um die Korrektur nicht von inhaltlichen, sondern von orthographischen Fehlern: Etwa um die Korrektur von “Studen” (Seite 187) auf “Stunden”, wie man es dann in der Druckfassung auch vorfindet (Seite 179). Die ungefragte, willkürliche Korrektur solcher Fehler in fremden Schriften kann nur als eine Art orthographischen Amoklaufs bezeichnet werden.

Abb. 1: Die Habilitationsschrift von 1996 in der Universitätsbibliothek Wien, S. 187.

Abb. 2: Die Buchfassung der Habilitation von 1997 in der Universitätsbibliothek Wien, S. 179.

Dass die Einreichfassung als Korrekturfahne für die Druckfassung verwendet wurde oder dass es sich hier gar um die Korrekturen eines Gutachters handelt, ist ganz ausgeschlossen.
Folgendes Szenario drängt sich stattdessen auf: Der bzw. die Notator:in besucht bei Prof. Fliedl eine Lehrveranstaltung zur Editionsphilologie, und ist gleichermaßen beeindruckt von ihrer wissenschaftlichen Leistung wie von der großen, geradezu einschüchternden Kompliziertheit dieses Arbeitsfeldes. Unter ungeklärten Umständen fallen dieser Person dann beide Fassungen der Habilitationsschrift in die Hände und die kleinen Unterschiede zwischen beiden ins Auge.
Was nun geschieht, ist wohl als Akt verfehlter Hilfestellung für die zukünftige Forschungsgemeinschaft zu verstehen: Hier, denkt er oder sie, werde ich denen, die zukünftig Fliedls Werk historisch-kritisch herausgeben, die Arbeit erleichtern. Textzeugen mit Varianten – das verkompliziert die Sache immer fürchterlich (etwas scheint im Kurs immerhin hängen geblieben zu sein …). Ich werde ihnen, so denkt diese irregeleitete Person, die Arbeit erleichtern – und die Varianz einfach eliminieren, schnell, hier, mit meinem Bleistift.
So muss es sich abgespielt haben. Die Intention war gut, das Ergebnis aber hat für diejenigen, die sich künftig mit der Fliedl-HKA befassen werden, die Sache fürchterlich verkompliziert.