Norbert Christian Wolf
Liebe Konstanze,
unsere Begegnungen waren immer eher sporadisch, aber zumindest für mein Leben waren sie wichtig – und an manchen Punkten sogar entscheidend: Zunächst erinnere ich mich an Dein Wiener Proseminar über Kriminalromane der Zwischenkriegszeit im Sommersemester 1991, in dem ich Dich am intensivsten als akademische Lehrerin erlebt habe und von Deiner Intellektualität, Deiner ästhetischen Sensibilität, Deinem literaturhistorischen Wissen sowie Deinem didaktischen Können lernen durfte. Insbesondere auch die überaus sorgsame und lehrreiche Nachbesprechung der schriftlichen Arbeit habe ich in starker Erinnerung.
Sodann denke ich an Deinen Gastaufenthalt an der FU Berlin, wo wir uns nach vielen Jahren wieder begegnet sind – mittlerweile war ich eine Art Kollege geworden, auch wenn mir dieses Wort damals unstatthaft vorgekommen wäre, nachdem Du schon längst habilitiert warst. (In Wien war es seinerzeit üblich, die Anrede „Kollegin“ oder „Kollege“ nur herablassend verwenden zu dürfen.) Wir haben uns im Rosa Café, das in der Dahlemer „Rostlaube“ von schwulen Studierenden betrieben wurde und keinen sehr schmackhaften Kaffee verkauft hat, über Literatur, Wien und Berlin und vieles mehr unterhalten.
Ein paar weitere Jahre später hast Du in einer Kommission der ÖAW daran mitgewirkt, dass meine germanistische Laufbahn kein abruptes Ende fand – obwohl die damalige Stipendienadministration mit der Bewerbung eines im Ausland lebenden Österreichers gar nicht glücklich war und mich davon eher abzubringen versucht, zumindest mich nicht in meinem Vorhaben bestärkt hat. Du hingegen hast immer schon internationaler gedacht als jene bürokratischen Geister, für die Internationalität jetzt ein beliebtes Schlagwort ist.
Wieder ein paar Jahre später durfte ich unerwartet Deine Nachfolge in Salzburg antreten. Ich weiß noch gut, wie unglücklich viele dortige Kolleginnen und Kollegen über Deinen Abgang waren und wie unmöglich es mir vorkam, die klaffende Lücke irgendwann auch nur ansatzweise zu füllen… Als ich mir bei dieser Gelegenheit die beeindruckende Liste Deiner Publikationen ansah, dachte ich ziemlich resigniert, niemals mit Deinem breiten und profunden wissenschaftlichen Œuvre mithalten zu können.
Schließlich bin ich Dir auch nach Wien zurückgefolgt, was irgendwie immer mein Traum gewesen ist, ohne dass ich das für sehr realistisch gehalten hätte. Ich bin hier zwar nicht im strengen Sinn „Dein“ Nachfolger geworden, versuche aber als einer der Verbliebenen, die hier für österreichische Literatur und Kulturgeschichte zuständig sind, mich doch in gewisser Weise in Deinen großen Fußstapfen zu bewegen.
In der Hoffnung, dass ich in diesen nicht allzu schlimm ausrutschen werde, versuche ich überdies an etwas anzuknüpfen, was mir immer als eine Besonderheit Deiner literaturwissenschaftlichen Arbeit vorkam: nämlich eine spezifische Form des Witzes, doch nicht im etwas heruntergekommenen Wortsinn des 21., sondern eher in dem des 18. Jahrhunderts, wo er das Komplement des Scharfsinns darstellt. Du, liebe Konstanze, hast das Zusammenspiel der beiden für mich auf unnachahmliche Art verkörpert. Und wie ein früher Hauptvertreter der von Dir so intensiv erforschten literarischen Ekphrasis etwas paradox bemerkt hat, besteht der einzige Weg, selbst auch etwas hervorzubringen, in der (unmöglichen) Nachahmung des Unnachahmlichen…
Ich danke Dir für alles, was ich von Dir lernen und profitieren durfte! Und ich freue mich darüber, dass Du uns als Doyenne der österreichischen Neugermanistik erhalten bleibst. Das – und mehr – hätte ich Dir gern persönlich gesagt.
Mit herzlichen Grüßen und den besten Wünschen für die kommenden Jahre!
Norbert Christian Wolf