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Imelda Rohrbacher

Liebe Konstanze,

eine Feier ist nicht ersetzbar. Aber vielleicht kann der Versuch, all das in Deinen vielfältigen Rollen und Projekten möglich Gemachte, möglich Gewordene virtuell nachzuzeichnen, dennoch zeigen, was für ein dichtes Gewebe an Verknüpfungen ein Fest zu Deinen Ehren sichtbar macht. Das Zusammenbringen von Ideen wie von Menschen, um große Projekte anzugehen, scheint Dir überhaupt das Müheloseste zu sein, genauso wie das Anpacken der vielen kleinen Schritte, die die Verwirklichung braucht. – Die Unerschrockenheit des langen Atems gelebt zu sehen ergibt für andere aber die vielleicht wichtigste Form der Stetigkeit, das Miterleben.

Mit dem Überbringen der Glückwünsche sei deswegen Claude Simon betraut, weil er so scheinbar mühelos die Kraft des Virtuellen und Trost und Rat der Findung zeigt, nebenbei den Bau der Recherche und Pracht (und Komik) der Literatur. Und natürlich, weil man ohne Essen gar nichts feiern kann.

Von Herzen Dank für so viele Ermutigungen! und alle vergnüglichsten Momente und besten Glückwünsche!

Imelda

Um in mir, damit ich Balbec auch weiterhin lieben könnte, die Vorstellung wachzuhalten, ich befände mich am äußersten Punkt der Erde, bemühte ich mich für meinen Teil, in die Ferne zu blicken, nichts als das Meer zu sehen, darauf die von Baudelaire beschriebenen Stimmungen zu erkennen und meine Blicke auf unserem Tisch nur an Tagen ruhen zu lassen, wo irgendein großer Fisch aufgetragen wurde, der im Gegensatz zu Messern und Gabeln schon in jener Urzeit existiert hatte, als das erste Leben im Ozean entstand, zur Zeit der Kimmerier bereits, eine Art Seeungetüm, dessen Leib mit den unzähligen Rückenwirbeln und dem blau und rosa Geäder von der Natur erbaut worden war nach einem architektonischen Plan wie eine in vielen Farben gehaltene Meereskathedrale.  

Und sofort drängt sich eine erste Feststellung auf: Weit davon entfernt, „statisch“ zu sein […], arbeitet, handelt diese Beschreibung, und sie veranschaulicht auf beeindruckende Weise die Definition, die […] Šklovskij von der „literarischen Tatsache“ gibt, nämlich: „die Übertragung eines Gegenstandes aus seiner normalen Wahrnehmung in die Sphäre einer neuen Wahrnehmung“. [In: Die Kunst als Verfahren, 1916]

Tatsächlich sieht man allein durch die Kraft der Sprache den auf eine Platte gelegten gekochten Fisch plötzlich aus einem räumlichen und zeitlichen Kontext der alltäglichen Welt herausgerissen (die Messer und Gabeln, die Proust ausdrücklich nennt, eine Mahlzeit um 1900 in einem Hotel) und in einen Rahmen von ganz anderen Dimensionen versetzt (Meerestiefe, Urzeit, Beginn des Lebens, Vorstellung des Erbauens, der Natur, des Plans, der Architektur, der Kathedrale). […][1]


[1] Claude Simon, Der Fisch als Kathedrale Vier Vorträge, Aus dem Französischen v. Eva Moldenhauer, Berenberg Verlag, Berlin 2014, S. 10–12. [Quatre conférences, Paris: Les Éditions de Minuit 2012]. Simon zitiert: Marcel Proust, Im Schatten junger Mädchenblüte (À l’ombre des jeunes filles en fleurs), übers. v. Eva Rechel-Mertens, rev. v. Luzius Keller und Sibylla Laemmel, Frankfurt a.M. 1994–2002, 384f.