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Grußwort Reinhard Urbach

Konstanze Fliedl und Arthur Schnitzler

Als altes Schlachtross, das sich seit den frühen sechziger Jahren um Arthur Schnitzler und der Literatur über ihn kümmert, traue ich mich zu sagen:

Konstanze Fliedl hat sowohl das größte als auch das kleinste Buch über Arthur Schnitzler geschrieben, beide bedeutend. Das eine die Habilitation von 1997, das andere die maßgebliche Schnitzler-Monographie bei Reclam von 2005. Beides schon lange her, aber nicht zu vergessen. Die „Poetik der Erinnerung“ deshalb, weil sie wie kein anderes großes Schnitzler-Buch mitten ins Herz des Werkes traf. Vergessen und Erinnern sind die verzweifelten Verfahren der Menschen der Jahrhundertwende um 1900 mit der gewaltigen Bürde nicht nur ihrer Vätergeneration, sondern aller Generationen bis in archäologische Tiefen fertig zu werden. Ohne Vergessen wäre jedes Erinnern eine unerträgliche Belastung. Ohne konzentrierte Erinnerung war keine fundierte Selbstbestimmung möglich. Dass es allen so ging, brachte Konstanze Fliedl durch die Analyse des Werks der Zeitgenossen Schnitzlers – Bahr, Hofmannsthal, Beer-Hofmann – in Evidenz. Was ihr Werk über das Thema hinaus wichtig macht, ist die keineswegs vorbehaltlose Haltung der Autorin ihrem Gegenstand gegenüber. Fern von aller Panegyrik wird Arthur Schnitzler nicht in allem seinem Schreiben gerechtfertigt, sondern immer auf den Prüfstein gegenwärtigen Verständnisses gelegt. Für mich war die Belehrung wichtig, dass Schnitzlers Kriterien des Kunstwerks, die ich versucht war, für allgemeingültig zu halten, nämlich „Einheitlichkeit, Intensität, Kontinuität“ „mit einigem Recht als relativ altmodisch verdächtigt werden kann“. Was das Buch zu einem Standardwerk macht, ist die umfassende Kenntnis und kritische Würdigung der Sekundärliteratur im Anmerkungsteil. Hier wird Gerichtstag gehalten und Forschungsballast weggeräumt.

Die Komprimierung des Lebens und Werks Arthur Schnitzlers ist in ihrer Monographie unvergleichlich gelungen. Sie fasst nicht nur zusammen, sie findet neue Zugänge. Wie sie zum Beispiel Konfigurationen und Konstellationen des „Weiten Landes“ arithmetisch analysiert, ist vorher so noch nie gesehen worden.

Konstanze Fliedl hat aber außer dem größten und dem kleinsten Schnitzlerbuch auch die schwersten zu verantworten. Die von ihr kritisch herausgegebenen Bände des Frühwerks, beginnend mit dem „Leutnant Gustl“, inzwischen sind es sechzehn Bände, haben ein im doppelten Sinne Gewicht, das sie zum Bleiben vorsieht. Die Kontrolle der Entzifferung durch aufwändige Faksimiles setzt Maßstäbe für jede künftige Editionspraxis.

Ich wünsche ihr und uns noch viele schwere, große und kleine Bücher aus dem großen – weit über Schnitzler hinausgehenden – Themenkreis, die ihrer Neugier und Schaffenskraft gemäß sind.

 Reinhard Urbach